Goethe in 1810. Gerhard von Kügelgen

Johann Wolfgang von Goethe

(*28.August 1749 Frankfurt am Main - †22.März 1832 Weimar, Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach)

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"Die
Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen
Und doch noch nie sich übergessen."

Faust I, Vers 2836 ff. / Mephistopheles

Sie kann nicht enden

Wenn ich nun gleich das weiße Blatt dir schickte:
Anstatt daß ichs mit Lettern erst beschreibe,
Ausfülltest du's vielleicht zum Zeitvertreibe
Und sendetest's an mich, die Hochbeglückte.

Wenn ich den blauen Umschlag dann erblickte,
Neugierig schnell, wie es geziemt dem Weibe,
Riß ich ihn auf, daß nichts verborgen bleibe;
Da läs ich, was mich mündlich sonst entzückte:

Lieb Kind! Mein artig Herz! Mein einzig Wesen!
Wie du so freundlich meine Sehnsucht stilltest
Mit süßem Wort und mich so ganz verwöhntest.

Sogar dein Lispeln glaubt ich auch zu lesen,
Womit du liebend meine Seele fülltest
Und mich auf ewig vor mir selbst verschontest.


Rezitation: Maren Eggert (*30.Januar 1974 Hamburg)

Anmerkung: Ach die Liebe, Freude, Wärme und Wonne, die ich nicht hinzubringe, wird mir der andere nicht geben, und mit einem ganzen Herzen voll Seligkeit werde ich den andern nicht beglücken, der kalt und kraftlos vor mir steht. (J.W.v.Goethe)

Willkommen und Abschied

Es schlug mein Herz; geschwind zu Pferde!
Es war gethan fast eh' gedacht;
Der Abend wiegte schon die Erde
Und an den Bergen hing die Nacht:

Schon stand im Nebelkleid die Eiche
Ein aufgethürmter Riese da,
Wo Finsterniß aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsaus'ten schauerlich mein Ohr;

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer;
Doch frisch und fröhlich war mein Muth:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Gluth!

Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Athemzug für dich.

Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich -- Ihr Götter!
Ich hofft' es, ich verdient' es nicht!

Doch ach schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen, welche Wonne!
In deinem Auge, welcher Schmerz!

Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!


„Blut ist ein ganz besondrer Saft.“

Der Türmer, der schaut zumitten der Nacht

Hinab auf die Gräber in Lage;

Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht;

Der Kirchhof, er liegt wie am Tage.

Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:

Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann,

In weißen und schleppenden Hemden.


Das reckt nun, es will sich ergetzen sogleich,

Die Knöchel zur Runde, zum Kranze,

So arm und so jung und so alt und so reich;

Doch hindern die Schleppen am Tanze.

Und weil hier die Scham nun nicht weiter gebeut,

Sie schütteln sich alle, da liegen zerstreut

Die Hemdelein über den Hügeln.
[145]

Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein,

Gebärden da gibt es vertrackte;

Dann klippert's und klappert's mitunter hinein,

Als schlüg man die Hölzlein zum Takte.

Das kommt nun dem Türmer so lächerlich vor;

Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr:

»Geh! hole dir einen der Laken.«


Getan wie gedacht! und er flüchtet sich schnell

Nun hinter geheiligte Türen.

Der Mond und noch immer er scheinet so hell

Zum Tanz, den sie schauderlich führen.

Doch endlich verlieret sich dieser und der,

Schleicht eins nach dem andern gekleidet einher,

Und husch! ist es unter dem Rasen.


Nur einer, der trippelt und stolpert zuletzt

Und tappet und grapst an den Grüften;

Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt;

Er wittert das Tuch in den Lüften.

Er rüttelt die Turmtür, sie schlägt ihn zurück,

Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück,

Sie blinkt von metallenen Kreuzen.


Das Hemd muß er haben, da rastet er nicht,

Da gilt auch kein langes Besinnen,

Den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht

Und klettert von Zinne zu Zinnen.

Nun ist's um den armen, den Türmer getan!

Es ruckt sich von Schnörkel zu Schnörkel hinan,

Langbeinigen Spinnen vergleichbar.


Der Türmer erbleichet, der Türmer erbebt,

Gern gäb er ihn wieder, den Laken.

Da häkelt – jetzt hat er am längsten gelebt –

Den Zipfel ein eiserner Zacken.

Schon trübet der Mond sich verschwindenden Scheins,

Die Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins,

Und unten zerschellt das Gerippe.




Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe:
Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 145-147.

Prometheus - Hymne (1772/1815)


Bedecke deinen Himmel, Zeus,

Mit Wolkendunst,

Und übe, dem Knaben gleich,

Der Disteln köpft,


An Eichen dich und Bergeshöhn;

Mußt mir meine Erde

Doch lassen stehn,

Und meine Hütte, die du nicht gebaut,

Und meinen Herd,

Um dessen Glut

Du mich beneidest.


Ich kenne nichts Ärmeres

Unter der Sonn’, als euch, Götter!

Ihr nähret kümmerlich

Von Opfersteuern

Und Gebetshauch

Eure Majestät,

Und darbtet, wären

Nicht Kinder und Bettler

Hoffnungsvolle Toren.


Da ich ein Kind war,

Nicht wußte wo aus noch ein,

Kehrt’ ich mein verirrtes Auge

Zur Sonne, als wenn drüber wär’

Ein Ohr, zu hören meine Klage,

Ein Herz, wie mein’s,

Sich des Bedrängten zu erbarmen.


Wer half mir

Wider der Titanen Übermut?

Wer rettete vom Tode mich,

Von Sklaverei?

Hast du nicht Alles selbst vollendet,

Heilig glühend Herz?

Und glühtest jung und gut

Betrogen, Rettungsdank

Dem Schlafenden da droben?


Ich dich ehren? Wofür?

Hast du die Schmerzen gelindert

Je des Beladenen?

Hast du die Tränen gestillet

Je des Geängsteten?

Hat nicht mich zum Manne geschmiedet

Die allmächtige Zeit

Und das ewige Schicksal,

Meine Herrn und deine?


Wähntest du etwa,

Ich sollte das Leben hassen,

In Wüsten fliehen,

Weil nicht alle

Blütenträume reiften?


Hier sitz’ ich, forme Menschen

Nach meinem Bilde,

Ein Geschlecht, das mir gleich sei,

Zu leiden, zu weinen,

Zu genießen und zu freuen sich,

Und dein nicht zu achten,

Wie ich!

Dir zu eröffnen


Dir zu eröffnen mein Herz verlangt mich; Hört' ich von deinem, darnach verlangt mich; Wie blickt so traurig die Welt mich an! In meinem Sinne wohnet mein Freund nur, Und sonsten keiner und keine [Feindspur]
. Wie Sonnenaufgang ward mir ein Vorsatz! Mein Leben will ich nur zum Geschäfte Von seiner Liebe [von heut an] machen. Ich denke seiner, mir [blutet's] Herz. Kraft hab' ich keine als ihn zu lieben, So recht im Stillen. Was soll das werden! Will ihn umarmen und kann es nicht.

Dir zu eröffnen

Dir zu eröffnen 
mein Herz verlangt mich;
Hört' ich von deinem, 
darnach verlangt mich;
Wie blickt so traurig 
die Welt mich an!

In meinem Sinne 
wohnet mein Freund nur,
Und sonsten keiner 
und keine [Feindspur].
Wie Sonnenaufgang 
ward mir ein Vorsatz!

Mein Leben will ich 
nur zum Geschäfte
Von seiner Liebe 
[von heut an] machen.
Ich denke seiner, 
mir [blutet's] Herz.

Kraft hab' ich keine 
als ihn zu lieben,
So recht im Stillen.
Was soll das werden!
Will ihn umarmen 
und kann es nicht.

Dawn Upshaw: Robert Schumann (*8.Juni 1810 in Zwickau, Königreich Sachsen - †29.Juli 1856 Endenich, Rheinprovinz, heute Ortsteil von Bonn)
Liebeslied, op. 51, no. 5