Stahlstich von Carl Barth - 1843

Friedrich Rückert
(*16. Mai 1788 
Schweinfurt - †31. Januar 1866 Neuses)

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"Am
Abend wird man klug
Für den vergangenen Tag,
Doch niemals klug genug
Für den, der kommen mag."



Gesammelte Gedichte, Bd. II (Erlangen 1836), S. 412, Vierzeilen, 2. Hundert, Nr. 73

Herbstlied

Herz, nun so alt und noch immer nicht klug,
Hoffst du von Tagen zu Tagen,
Was dir der blühende Frühling nicht trug,
Werde der Herbst dir noch tragen!

Lässt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
Immer zu schmeicheln, zu kosen.
Rosen entfaltet am Morgen sein Hauch,
Abends verstreut er die Rosen.

Lässt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
Bis er ihn völlig gelichtet.
Alles, o Herz, ist ein Wind und ein Hauch,
Was wir geliebt und gedichtet.


Rezitation: Fritz Stavenhagen 
(*15.Mai 1945 Klettwitz, Niederlausitz)

Anmerkung: Sei gut und laß dir von den Menschen Böses sagen; Wer eigne Schuld nicht trägt, kann leichter fremde tragen. (F.Rückert)

LYRIK_MUSIK #literaturforum

Ew'ges Licht! (1822)

Freimund V

aus "Freimund" (1822) von „Freimund Raimar"

Friedrich Rückert's Gedichte aus der Sammlung "Freimund" (1822) ("Freimund Raimar" oder "Reimar" / "Reimer" war ein Pseudonym Friedrich Rückert's) sind alle SO wunderbar, so fantastisch, so groß angelegt -- sie sind vielleicht die besten von alle Rückert's Gedichte ... und das will schon SEHR viel sagen; außerdem sind sie absolut ungewöhnlich: Mit Ihren „Kehrreimen", ihren „Doppelreimen" (in jeder zweiten Zeile reimen sowohl das „Refrain" wie auch ein Wort nahe am Ende der Zeile), mit ihren sehr seltenen und sehr frei behandelten Versmaßen sind sie SEHR modern - sie könnten fast aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts stammen - und doch sind sie vom Inhalt her so unverkennbar „Sturm-und-Drang"-Gedichte. Sie sind alle zur Lob des „Ewigen Lichtes" / wohl „Gottes" geschrieben. Dieses Gedicht ist in trochäischen Tetrametern -- oder 8-Füsse -- gehalten, und ist ein Lob des „Ewigen Lichtes". - #gedichtvortrag

Im Gebirg (1811)

Wohin, ach! sollen aus des Markts Gewühle
Sich eure Götter retten, wenn die Dichten
Des ew'gen Hains auch unterm Beil sich lichten,
Qualm des Gewerks auch dämpft die heil'ge Kühle?

Es seufzt der Fels, daß ihr sein Steingestühle
Zerbrecht, um eure Wände draus zu schichten;
Der freie Waldbach zürnt, daß er verpflichten
Sich muß, nutzbar zu treiben Rad und Mühle.

Die Echo klagt, daß statt der Heldenlieder,
Ins orgelnde Gebraus des Sturms gesungen,
Sie jetzt nur hört Geächz' des tauben Hammers.

Und selbst die Berge schütteln ihre Glieder
In Unmut, daß sie dazu sind gedungen,
Euch auszuspei'n die Goldschlack' eures Jammers.

Friedrich Rückert, 1811
Aus der Sammlung Aprilreiseblätter


Wir stilles Volk in des Gebirges Kluft (1811)

Wir stilles Volk in des Gebirges Kluft,
Tief schlummernd in der Mutter Schoß, Metalle;
Was habt ihr uns mit eurer gierigen Kralle
Heraufgezogen aus der dunklen Gruft?

Daß unsre Starrheit an des Himmels Luft,
Der uns verhaßten, euch zum Spiel zerfalle!
Ihr zwinget unsre Stummheit, daß sie schalle;
Der Schall ist Klage, die nach Heimat ruft.

Und unsre Heimat ist die ewige Nacht;
Ihr aber habt, zu unserm Weh beflissen,
Zu eurem Weh uns an das Licht gebracht.

Denn wie ihr uns der Finsternis entrissen,
So reißen wir nun selbst mit dunkler Macht
Euch mit uns nieder zu den Finsternissen.

Friedrich Rückert, 1811
Aus der Sammlung Aprilreiseblätter

Ich bin der Welt abhanden gekommen


Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben.
Sie hat so lange von mir nichts vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben.

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält;
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgewimmel
Und ruh’ in einem stillen Gebiet.
Ich leb’ in mir und meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied.

Rückert-Lieder - Rückert-Lieder (Songs after Rückert) 

1 Blicke mir nicht in die Lieder! (14. Juni 1901)

2 Ich atmet’ einen linden Duft (Juli 1901)

3 Ich bin der Welt abhanden gekommen (16. August 1901)

4 Um Mitternacht (Sommer 1901)

5 Liebst du um Schönheit (August 1902)

Gustav Mahler (1860-1911)

Um Mitternacht
Hab 'ich gewacht
Und zum Himmel aufgeblickt!
Kein Stern vom Sterngewimmel
Hut mir gelacht
Ähm Mitternacht!
 
Um Mitternacht
Hab 'ich gedacht
Hinaus in dunklen Schranken!
Es hat kein Lichtgedanken
Mir Trost wurde
Ähm Mitternacht!
 
Um Mitternacht
Nahm ich in acht
Die Schlaege mein Herz;
Ein einz'ger Puls des Schmerzens
Krieg angefacht
Ähm Mitternacht.
 
Um Mitternacht
Kaempft 'ich die Schlacht,
O Menschheit, deine Leiden.
Nicht konnt 'ich sie gehört
Mit meiner Macht
Ähm Mitternacht.
 
Um Mitternacht
Hab 'ich die Macht
In deiner Hand gegeben!
Herr Über Tod und Leben:
Du haelst die Wacht
Ähm Mitternacht!



Liebst du um Schönheit,
O nicht mich liebe!
Liebe die Sonne,
Sie trägt ein goldnes Haar.
Liebst du um Jugend,
O nicht mich liebe!
Liebe den Frühling,
Der jung ist jedes Jahr.
Liebst du um Schätze,
O nicht mich liebe!
Liebe die Meerfrau,
Sie hat viel Perlen klar.
Liebst du um Liebe,
O ja, mich liebe!
Liebe mich immer,
Dich lieb’ ich immerdar.


Blicke mir nicht in die Lieder!
Meine Augen schlag’ ich nieder,
Wie ertappt auf böser Tat.
Selber darf ich nicht getrauen,
Ihrem Wachsen zuzuschauen.
Deine Neugier ist Verrat!

Bienen, wenn sie Zellen bauen,
Lassen auch nicht zu sich schauen,
Schauen selbst auch nicht zu.
Wenn die reichen Honigwaben
Sie zu Tag gefördert haben,
Dann vor allen nasche du!

Ich atmet' einen linden Duft!

Im Zimmer stand
Ein Zweig der Linde,
Ein Angebinde
Von lieber Hand.
Wie lieblich war der Lindenduft!

Wie lieblich ist der Lindenduft!
Das Lindenreis
Brachst du gelinde!
Ich atme leis
Im Duft der Linde
Der Liebe linden Duft.