Herz, nun so alt und noch immer nicht klug,
Hoffst du von Tagen zu Tagen,
Was dir der blühende Frühling nicht trug,
Werde der Herbst dir noch tragen!
Lässt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
Immer zu schmeicheln, zu kosen.
Rosen entfaltet am Morgen sein Hauch,
Abends verstreut er die Rosen.
Lässt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
Bis er ihn völlig gelichtet.
Alles, o Herz, ist ein Wind und ein Hauch,
Was wir geliebt und gedichtet.
Rezitation: Fritz Stavenhagen
(*15.Mai 1945 Klettwitz, Niederlausitz)
Anmerkung: Sei gut und laß dir von den Menschen Böses sagen; Wer eigne Schuld nicht trägt, kann leichter fremde tragen. (F.Rückert)
LYRIK_MUSIK #literaturforum
Freimund V
Laß die Welt in deinen goldnen Strömen baden, ew'ges Licht!
Speise Geister an der Tafel deiner Gnaden, ew'ges Licht!
Wie das Meer in weiten Kreisen um das Land, so flutet dein
Äther um die Welt in weitern Glanzgestaden, ew'ges Licht!
Nicht die Sonne dich, die Sonnen zeugest du; in deinem Strahl
Tanzen sie, als wie in ihrem Strahle Maden, ew'ges Licht!
Nicht der Himmel kann dich fassen, und zur Erde steigest du,
Opfer zündend unter allen Breitegraden, ew'ges Licht!
Zu dem Meru, zum Olympos, wie zum Sinai herab
Senkst du hell durch Wolkenschichten einen Faden, ew'ges Licht!
Ab von dir ins Dunkel wendet ihren Pfad die Welt, doch du
Strömst entgegen aus dem Dunkel ihren Pfaden, ew'ges Licht!
Auch auf krummen Straßen lenkest du den Wahn zurück zu dir;
Aber laß zu dir mich wandeln die geraden, ew'ges Licht!
Wo vor dir sollt' ich mich bergen? Sollt' ich auf zum Himmel fliehn,
Wo mir funkeln deine lichten Myriaden, ew'ges Licht;
Wo vor dir sollt' ich mich decken? Flieh' ich in die Erdennacht?
Golden brichst du durch des Schachtes dumpfe Schwaden, ew'ges Licht!
Ja, dies Herz auf keine Weise kann sich deinem Dienst entziehn,
Seit du mir dein goldnes Joch hast aufgeladen, ew'ges Licht!
Du mit Strahlen hell besaitend Abendsternes Lautenspiel,
Stimmest auch die schrill'ge Leier der Cikaden, ew'ges Licht!
Auch in meiner Töne Fugen, allgeschmeid'ges, schmiege dich!
Lasse dem Juwel nicht seine Fassung schaden, ew'ges Licht!
Gleichwie deine Sonnenstrahle sende meine Lieder aus,
Alle Welt zu deinen Festen einzuladen, ew'ges Licht!
aus "Freimund" (1822) von „Freimund Raimar"
Friedrich Rückert's Gedichte aus der Sammlung "Freimund" (1822) ("Freimund Raimar" oder "Reimar" / "Reimer" war ein Pseudonym Friedrich Rückert's) sind alle SO wunderbar, so fantastisch, so groß angelegt -- sie sind vielleicht die besten von alle Rückert's Gedichte ... und das will schon SEHR viel sagen; außerdem sind sie absolut ungewöhnlich:
Mit Ihren „Kehrreimen", ihren „Doppelreimen" (in jeder zweiten Zeile reimen sowohl das „Refrain" wie auch ein Wort nahe am Ende der Zeile), mit ihren sehr seltenen und sehr frei behandelten Versmaßen sind sie SEHR modern - sie könnten fast aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts stammen - und doch sind sie vom Inhalt her so unverkennbar „Sturm-und-Drang"-Gedichte. Sie sind alle zur Lob des „Ewigen Lichtes" / wohl „Gottes" geschrieben.
Dieses Gedicht ist in trochäischen Tetrametern -- oder 8-Füsse -- gehalten, und ist ein Lob des „Ewigen Lichtes". - #gedichtvortrag
Wohin, ach! sollen aus des Markts Gewühle
Sich eure Götter retten, wenn die Dichten
Des ew'gen Hains auch unterm Beil sich lichten,
Qualm des Gewerks auch dämpft die heil'ge Kühle?
Es seufzt der Fels, daß ihr sein Steingestühle
Zerbrecht, um eure Wände draus zu schichten;
Der freie Waldbach zürnt, daß er verpflichten
Sich muß, nutzbar zu treiben Rad und Mühle.
Die Echo klagt, daß statt der Heldenlieder,
Ins orgelnde Gebraus des Sturms gesungen,
Sie jetzt nur hört Geächz' des tauben Hammers.
Und selbst die Berge schütteln ihre Glieder
In Unmut, daß sie dazu sind gedungen,
Euch auszuspei'n die Goldschlack' eures Jammers.
Friedrich Rückert, 1811Aus der Sammlung Aprilreiseblätter
Wir stilles Volk in des Gebirges Kluft,
Tief schlummernd in der Mutter Schoß, Metalle;
Was habt ihr uns mit eurer gierigen Kralle
Heraufgezogen aus der dunklen Gruft?
Daß unsre Starrheit an des Himmels Luft,
Der uns verhaßten, euch zum Spiel zerfalle!
Ihr zwinget unsre Stummheit, daß sie schalle;
Der Schall ist Klage, die nach Heimat ruft.
Und unsre Heimat ist die ewige Nacht;
Ihr aber habt, zu unserm Weh beflissen,
Zu eurem Weh uns an das Licht gebracht.
Denn wie ihr uns der Finsternis entrissen,
So reißen wir nun selbst mit dunkler Macht
Euch mit uns nieder zu den Finsternissen.
Friedrich Rückert, 1811
Aus der Sammlung Aprilreiseblätter
Rückert-Lieder - Rückert-Lieder (Songs after Rückert)
1 Blicke mir nicht in die Lieder! (14. Juni 1901)
2 Ich atmet’ einen linden Duft (Juli 1901)
3 Ich bin der Welt abhanden gekommen (16. August 1901)
4 Um Mitternacht (Sommer 1901)
5 Liebst du um Schönheit (August 1902)
Um Mitternacht
Hab 'ich gewacht
Und zum Himmel aufgeblickt!
Kein Stern vom Sterngewimmel
Hut mir gelacht
Ähm Mitternacht!
Um Mitternacht
Hab 'ich gedacht
Hinaus in dunklen Schranken!
Es hat kein Lichtgedanken
Mir Trost wurde
Ähm Mitternacht!
Um Mitternacht
Nahm ich in acht
Die Schlaege mein Herz;
Ein einz'ger Puls des Schmerzens
Krieg angefacht
Ähm Mitternacht.
Um Mitternacht
Kaempft 'ich die Schlacht,
O Menschheit, deine Leiden.
Nicht konnt 'ich sie gehört
Mit meiner Macht
Ähm Mitternacht.
Um Mitternacht
Hab 'ich die Macht
In deiner Hand gegeben!
Herr Über Tod und Leben:
Du haelst die Wacht
Ähm Mitternacht!
Liebst du um Schönheit,
O nicht mich liebe!
Liebe die Sonne,
Sie trägt ein goldnes Haar.
Liebst du um Jugend,
O nicht mich liebe!
Liebe den Frühling,
Der jung ist jedes Jahr.
Liebst du um Schätze,
O nicht mich liebe!
Liebe die Meerfrau,
Sie hat viel Perlen klar.
Liebst du um Liebe,
O ja, mich liebe!
Liebe mich immer,
Dich lieb’ ich immerdar.
© by Gary O'Connell
Beiersdorfer Straße 5
96450 Coburg