1954

Bertolt Brecht

(*10.Februar 1898 Augsburg - †14.August 1956 Ost-Berlin)

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"Wer die
Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!"

Leben des Galilei, Bertolt Brecht Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Suhrkamp Verlag, Band 5 (Stücke 5), 1988, S. 248. ISBN 3-518-10001-7 <450>. f.[2]

An die Nachgeborenen (ersch. 1934)

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?

Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt
Bin ich verloren.)

Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.

Ich wäre gerne auch weise
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!


                                   2

In die Städte kam ich zu der Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legt ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit
Die Sprache verriet mich dem Schlächter
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.


                             3

Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.

Rezitation: Christian Brückner

Anmerkung: Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher. (B.Brecht)

Der Rauch

Das kleine Haus unter Bäumen am See.
Vom Dach steigt Rauch.
Fehlte er
Wie trostlos dann wären
Haus, Bäume und See.

Auf den ersten Blick ist dieses Gedicht ein Stück Naturlyrik. Die Technik des Menschen in der durch Bäume und See angesprochenen Natur ist symbolisiert durch das Haus. Lebendig und sinnvoll werden aber sowohl die Natur als auch die vom Menschen geschaffenen Dinge erst durch die lebendige Gegenwart des Menschen selbst, die im Rauch dargestellt ist, der durch den Schornstein steigt und als tröstend bezeichnet wird.
Über diese allgemeine Betrachtung hinaus hat dieses Gedicht aber auch einen sehr persönlichen Bezug zu Brecht. Während er selbst mit seiner Frau Helene Weigel das Haupthaus auf dem Grundstück bewohnte, hatte er in einem kleinen Gartenhaus seine Mitarbeiterin und Geliebte Elisabeth Hauptmann untergebracht. Immer wenn sie ihn empfangen wollte, nutzte sie den Kamin, um Brecht ein Zeichen zu geben. 
Aus https://de.wikipedia.org/wiki/Buckower_Elegien

Vier Liebeslieder

11.9.1902, Paris Quelle

I.

Als ich nachher von dir ging

An dem großen Heute

Sah ich, als ich sehn anfing

Lauter lustige Leute.


Und seit jener Abendstund

Weißt schon, die ich meine

Hab ich einen schönern Mund

Und geschicktere Beine.


Grüner ist, seit ich so fühl

Baum und Strauch und Wiese

Und das Wasser schöner kühl

Wenn ich's auf mich gieße.


II.

Wenn du mich lustig machst

Dann denk ich manchmal:

Jetzt könnt ich sterben

Dann war ich glücklich

Bis an mein End.

Wenn du dann alt bist

Und du an mich denkst

Seh ich wie heut aus

Und hast ein Liebchen

Das ist noch jung.


III.

Sieben Rosen hat der Strauch

Sechs gehör'n dem Wind

Aber eine bleibt, daß auch

Ich noch eine find.

Sieben Male ruf ich dich

Sechsmal bleibe fort

Doch beim siebten Mal, versprich

Komme auf ein Wort.


IV.

Die Liebste gab mir einen Zweig

Mit gelbem Laub daran.

Das Jahr, es geht zu Ende

Die Liebe fängt erst an.